Rede von Ende Gelände Tübingen für den Klimastreik am 01.03.2024 in Tübingen.
Hallo zusammen,
Ende Gelände hat sich vor fast zehn Jahren gegründet, um gezielt an die Orte und Mittel der Zerstörung zu gehen – um dort zu blockieren, zu stören, zu nerven, und wann immer möglich die Maschinerie ganz lahmzulegen. Denn ein Status Quo, der sich für den Profit Weniger zum Schaden Aller durch die Erde wühlt, mit neokolonialen Kontinuitäten und Ausbeutung, ist nicht hinnehmbar. Aus genau diesem Grund rückt für uns neben Kohle und Gas zunehmend die Mobilität und insbesondere auch ihre Produktion und Reproduktion in den Blick. Denn auch hier sitzen wir, besonders in der Region, im „Belly of the Beast“ – im Bauch des Monsters.
Der Verkehrssektor verursacht über 20% der Treibhausgasemissionen in Deutschland, Tendenz steigend, denn die Emissionen sinken nicht, im Gegensatz zu allen anderen Bereichen. Und das nicht ohne Grund. Noch nie gab es so viele Autos. Noch nie waren sie so schwer. Ebenfalls noch nie war die Strecke, die Menschen zu ihrer Arbeit zurücklegen, so groß – im Schnitt 17 Kilometer – die Zeit, die sie mit Pendeln verlieren, länger und die Straßen voller.
Die entscheidende Frage ist: Ist dieser Verkehr Mobilität? Verbindet er Menschen? Ist er freiwillig?
Der Verkehr bedient an allen Enden den kapitalistischen Wachstumszwang: also das Wachstum an Geld – nicht Lebensqualität und wird dabei von allen ideologischen Fehlern in unserer Dominanzgesellschaft, gestützt. Mehr Pendlerinnen und weitere Strecken bedeuten, dass Firmen ihre Produktion zentralisieren und ihren Gewinn maximieren können. Unendlich viele Einfamilienhäuser, in denen gerade Generationen an Seniorinnen vereinsamen, bedeuten mehr Baustoffe, mehr Platz für Möbel und Elektroschrott, mehr Straßenbau, mehr Bausparverträge. Und für die Menschen, die es sich leisten können, die Möglichkeit zu ignorieren, dass es immer weniger nicht kommerzielle Räume, öffentliche Infrastrukturen oder Straßen mit
Aufenthaltsqualität gibt. Und längere Wege bedeuten auch, dass es kein Problem ist, wenn sich Angestellte eine Wohnung an ihrem Arbeitsort nicht mehr leisten können. Und natürlich bedeutet dieser Verkehr mehr Autos. Und damit kontinuierlichen Profit für die Autokonzerne.
Die „Lösung“ der Autokonzerne für die Verkehrswende sind E-Autos. Nur ist das keine Wende, sondern ein „immer weiter so“! Um immer weiter wachsen zu können, müssen die Konzerne dabei immer größere am besten schnelle Autos verkaufen, unabhängig vom Antrieb. Schwerere Autos verbrauchen mehr Energie, der Strom, den die E-Autos dann verschwenden, muss produziert werden. Und die Akkus sind Produkt eines höchst energieaufwendigen Prozesses. Und nicht nur das ist das Problem dabei. Die Rohstoffe für Akku und Elektronik, kommen in guter extraktivistischer und kolonialistischer Tradition aus dem Globalen Süden. Sie verschärfen vor Ort die Realität der Klimakrise auch noch. Kobalt wird in der DR Kongo unter menschenunwürdigen Bedingungen gefördert: Kinder arbeiten in den Mienen, es gibt keinen Schutz vor giftigen Stoffen, die ebenso ungefiltert in die Natur, die auch der Lebensraum von Menschen und Tieren ist, gelangen.
Und nebenbei: die Regierung dort führt in diesem Moment etwas aus, was UN-Gesandte als Zitat „an der Grenze zum Völkermord bezeichnen“ gegen die Tutsi Minderheit im Osten des Landes. Lithium kommt zu größten Teilen aus Chile, wird dort in der Atakama-Wüste in wasseraufwendigen Prozessen durch Abpumpen von unterirdischen Solereservoirs gefördert. Es kommen giftige Stoffe and die Oberfläche, die dort einfach zurückgelassen werden. Vor allem die indigene Bevölkerung organisiert sich, wie beispielweise in der Gruppe OPSAL, seit Jahren gegen diese Zerstörung durch Großkonzerne und das vom Pinochet Regime errichtete Rohstoffsystem.
[Ironie:] Die EU konnte bei dieser Realität nicht wegsehen und hat konsequenterweise
eine Verordnung eingebracht, die „Kritische Rohstoffe und Mineralien“ von den Lieferkettengesetzen ausnimmt, die Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung also erlaubt, weil sonst würde so das ja der Wirtschaft schaden. Und auch Olaf Scholz war letztes Jahr persönlich in Chile um sicherzustellen, dass das Lithium auch seinen Weg in den „richtigen“ Teil des globalen Nordens findet. Er hat ein Abkommen über die Rohstoffausbeutung für die deutsche Wirtschaft unter dem Deckmantel der „Entwicklung“ zu unterzeichnen. Was er damit meint, ist aber Entwicklungshilfe für die Standorte München, Stuttgart und Wolfsburg. Denn der Grund, warum wir mit 180 weiter in die Klimahölle fahren müssen, sind dann immer: Arbeitsplätze.
Auch Autokonzerne benutzen immer noch die Arbeiter*innen und ihre Abhängigkeit von
ihnen als Rechtfertigung dafür, dass sich nichts ändern darf. Doch im ersten Moment, wenn eine Maschine die Arbeitenden ersetzen kann, werden sie entlassen. Gerade komplizierte Aufgaben, die gut bezahlt sind, werden automatisiert. Übrig bleiben die Jobs, bei denen Schrauben in Roboter gelegt werden. Die Arbeit wird möglichst stumpf und die Menschen möglichst austauschbar. Das ist
das Gesicht kapitalistischen „Fortschritts“, nicht nur in der Autoproduktion. Die IG-Metall geht davon aus, dass mit der E-Mobilität, so wie es sich die Autokonzerne gerade vorstellen, in Zukunft zwischen 100.000 bis 450.000 Menschen weniger beschäftigt sein werden – So viel zur „Sicherung der Arbeitsplätze“.
Und genau das ist der relevante Punkt, um den es heute geht. Was wir sehen, ist ein Wirtschaftssystem, das Klimaschutz, den es durch seinen Wachstumszwang noch nicht mal betreibt, vorschiebt, um seine Ausbeutung und gewaltsame Realität von Arbeitslosigkeit, schlecht bezahlten stumpfen Jobs und sozialer Ungerechtigkeit zu rechtfertigen. Klimagerechtigkeit kann nur mit guten Arbeitsbedingungen, gerechten Löhnen, sinnvoller Arbeit und einem Fokus auf Lebensqualität statt Materiellem Maximalismus –
also immer mehr Schrott von Morgen – erreicht werden. Echte Klimagerechtigkeit und
ihre Maßnahmen führen auch genau dazu!
Wir müssen die Produktion unserer Mobilität jetzt neu denken. Weg von der scheinbaren Individualität und den Profiten hin zur Kollektivität und Bedürfnisorientierung. Wir brauchen einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs, der Taktung statt Geschwindigkeit priorisiert, kostenlosen Nahverkehr und gleichzeitig die Vergesellschaftung der Autofabriken mit Selbstbestimmung durch die Arbeitenden. Mit einer Produktion nach dem Auto, die die Dinge herstellt, die wir wirklich brauchen: Straßenbahnen, S-Bahnen, Fahrräder, Überlandbusse und alles, was auch außerhalb der Mobilität Menschen statt Profiten dient. Mit Produkten, die dann erst klimagerecht, langlebig, reparierbar und ressourcenschonend sein können, Produkte, die nicht auf zerstörerischer Rohstoffausbeutung aufbauen.
Die Arbeitsplätze können so gesichert werden und die Arbeitsbedingungen gleichzeitig verbessert. Was das verhindert, sind die Autokonzerne, die lieber ein Werk schließen, als es umzunutzen, weil sie nur mit Autos dieselben Gewinne erzielen können. Wir müssen endlich eine echte Verkehrswende beginnen, es braucht keine Straßenneubauten mehr und es muss darum gehen, Menschen näher an die Orte, an die sie möchten zu bringen und ihre Wege kürzer zu gestalten. Das bedeutet, dass Autos in den Nischen, in denen sie dann noch gebraucht werden, nicht das sind, was bestimmt, wie unsere Welt aussieht, dass Städte nach dem Modell der 15 Minuten Stadt funktionieren, dass sie qualitätsvolle Grünflächen haben und Städte der öffentlichen Infrastrukturen und der Straßen, in denen Leben auch möglich ist. Was eben nicht nur für Innenstädte und teure gentrifizierte Viertel gelten darf, sondern für alle!
Und schlussendlich muss das auch bedeuten, dass die Menschen, die unsere Welt hier am Laufen halten, genauso ein gutes Leben führen können, gerade weil sie unverzichtbar sind und dass die endlosen Hierarchien und das Runterblicken auf Menschen, wenn sie anders reden, kein Abi haben, oder ihr Abschluss nicht anerkannt wird, aufhört! Und sie mit dem Respekt behandelt werden, den sie Verdammt nochmal verdienen.