Auf dem Stuttgarter Protest-Picknick „Platz da!“ auf der B14 hielt Manfred Niess vom Klima und Umweltbündnis Stuttgart (KUS) eine Rede, in der er sich mit der Mobilitäts-Rhetorik der FDP auseinandersetzt. KUS ist Unterstützungsorganisation der Mobilitätswende für Baden-Württemberg. Wir dokumentieren hier das Redemanuskript.
Liebe Freunde*innen einer lebenswerten Stadt!
Mein Name ist Manfred Niess
Ich möchte euch von einem Mailaustausch mit der Abgeordneten Judith Skudelny berichten, die in der StZ unter dem Titel: „Ist unbegrenztes Rasen Luxus oder Freiheit?“ vom 14.3.23 ein langes Interview mit Prof. Markus Friedrich von der Uni Stuttgart gegeben hat. Falls Sie Frau Skudelny nicht kennen sollten, sie ist Stuttgarter Abgeordnete im Bundestag und Umwelt- und verbraucherschutzpolitische Sprecherin. Sie ist von der FDP, der freien Partei, Deutschlands, zwischendurch hieß sie mal F.D.P. , inzwischen stehen die drei Buchstaben wohl eher für FÜR DEN PORSCHE.
Die erste Frage an Frau Skudelny war, ob die FDP noch zu den Pariser Klimazielen steht. Die Antwort lautete:
„…selbstverständlich bekennt sich die FDP zu den Pariser Klimazielen. Vor etwas mehr als einem Jahr ist die Ampelkoalition mit dem Anspruch gestartet, die deutsche Klimapolitik neu auszurichten und die Weichen in Richtung Klimaneutralität 2045 zu stellen. Gemeinsam mit unseren Koalitionspartnern haben wir Freie Demokraten uns vorgenommen, unsere Klimaziele künftig sektorübergreifend kosteneffizient zu erreichen und dabei verstärkt auf marktwirtschaftliche Instrumente und Technologieoffenheit zu setzen.“ Drei Worte sind dabei entscheidend:
1) marktwirtschaftliche Instrumente, 2) Technologieoffenheit und 3) sektorübergreifend.
Zum ersten Punkt: marktwirtschaftliche Instrumente: Über den Ausstoß von Kohlendioxid ist der Mensch Mitverursacher eines Klimawandels, dessen Folgen hohe Kosten verursachen werden. Klimawandel sei der größte und weitreichendste Fall von Marktversagen, urteilte der Ökonom Nicholas Stern in seinem vielbeachteten Bericht für die britische Regierung.
Was den Klimaschutz angeht besteht in einem Punkt wissenschaftlicher Konsens: Allein über den Markt, also ganz ohne staatlichen Einfluss, wird sich der Ausstoß von Kohlendioxid nicht auf das politisch gewünschte Maß begrenzen lassen.
Dazu ein aktuelles Beispiel aus Deutschland:
Laut UBA lag der Verkehrssektor den Angaben zufolge 2022 über den im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegten Jahresemissionsmengen. Hier wurden 148 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent ausgestoßen – zulässig gewesen wären 138,8 Millionen Tonnen. »Der Verkehr ist der einzige Sektor, der gleichzeitig sein Ziel verfehlt und einen Emissionsanstieg gegenüber dem Vorjahr verzeichnet«, schreibt das UBA. Der Treibhausgasausstoß des vergangenen Jahres lag rund 1,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent – oder 0,7 Prozent – über dem Wert von 2021.
Wie reagiert Frau Skudelny darauf? Sie stellt die Studie des UBA in Frage:
„Selbstverständlich müssen wir schleunigst den CO2-Ausstoß reduzieren. Die neue Studie des Umweltbundesamts kommt zu dem Resultat, dass durch Tempolimit 120 auf Autobahnen knapp drei Mal mehr CO2 eingespart werden könnte, als man bislang annahm. Die in der Studie getroffenen Annahmen haben allerdings einige Schwachpunkte. Es wurde mit Tom-Tom-Daten aus dem Jahr 2018 gearbeitet, die nur 15 % des gesamten Autobahnverkehrs des Jahres erfassen. Im Ergebnis scheint der Anteil der über 130 km/h fahrenden Pkw mit 38 % viel zu hoch. Analysen des Instituts der Deutschen Wirtschaft für 2022 kamen zu dem Ergebnis, dass 77 % der PKWs auf den betrachteten Autobahnen mit unter 130 km/h unterwegs waren.“
Auf wen beruft sich Frau Skudelny bei ihrer Infragestellung? Auf das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Ist das Institut eine unabhängige Forschungseinrichtung? Laut Wikipedia wird es „…von Verbänden und Unternehmen der Wirtschaft finanziert.“ Trägervereine sind die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und der Bundesverband der deutschen Industrie, das IW wird von Verbänden und Unternehmen der Wirtschaft finanziert. Das Institut vertritt wirtschaftsliberale Positionen. Ah, was ein Zufall! Gibt es von Frau Skudelny einen Vorschlag, wie sofort der CO2 Ausstoß im Verkehrsbereich gesenkt werden kann – man sucht vergebens.
Eigentlich müssen nach § 8 Abs. 1 Klimaschutzgesetz die zuständigen Ministerien, die die Klimaziele verfehlen, innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen. Das möchte der Koalitionsausschuss der Ampelparteien jetzt ändern. „Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden“, heißt es im Beschlusspapier der Ampelkoalition. Sollten die Gesamtemissionen dann über der Vorgabe liegen, müsste die Regierung insgesamt Lösungen finden. Das ist der Trick der FDP, der sich hinter dem Wort „sektorenübergreifend“ versteckt. Damit gibt es keine Verantwortlichkeit der einzelnen Ministerien, keiner muss für seinen Bereich eine Verantwortung übernehmen. In der Soziologie nennt man das „Verantwortungsdiffusion“. Verkehrsminister Wissing ist vorerst aus dem Schneider.
Der Expertenrat fordert, dass die zuständigen Minister für ihre Sektoren verantwortlich bleiben müssen – insbesondere deshalb, weil im Verkehrs- und Gebäudesektor erneut die Vorgaben verfehlt wurden, aber er wird von der Regierung ignoriert. Die Regierung blamiert ihre eigenen Experten öffentlich!
Die Folge: es passiert nichts – business as usual -wir haben kein Klimaproblem!
Gegen diese Trickserei laufen die Umweltverbände Sturm.
Ich habe Frau Skudelny auch noch Fragen zum Tempolimit gestellt. Pikant dazu:
Frau Skudelny ist die Landesvorsitzende der Liberalen Frauen Baden-Württemberg seit 2013. Unter den Frauen sind 70% für ein Tempolimit – wie positioniert sich die Landesvorsitzende der Liberalen Frauen? Sie fällt ihren Geschlechtsgenossinnen in den Rücken: „Insgesamt bleibe ich deshalb – auch als Frau – bei meiner Einstellung: Wenn Tempolimits weder einen sinnvollen Beitrag zum Klimaschutz leisten, noch die Verkehrssicherheit erhöhen, sind sie schlicht eine Freiheitseinschränkung.“
Zum Punkt Verkehrssicherheit sagt Sie: „Die Verkehrssicherheit nehme ich sehr ernst. Jedoch bestätigt auch der ADAC, dass ein Zusammenhang zwischen Unfällen und Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht erkennbar ist.“ Erstaunlich: Die Gewerkschaft der Polizei, zu der ich ihre Unterlagen geschickt habe, sieht das ganz anders.
Weiter führt sie aus: “Die eigentliche Schwachstelle in Sachen Verkehrssicherheit sind Außerortsstraßen abseits der Autobahnen. Obwohl auf ihnen nur 40 % der Kfz-Fahrleistung zusammenkommen, sind dort knapp 60 % aller Verkehrstoten zu beklagen.“ Das sind meist Unfälle wegen überhöhter Geschwindigkeit – ist sie nun für Tempo 80 auf Landstraßen?
Dazu noch eine aktuelle Ergänzung: 500 Städte haben vom Verkehrsminister gebeten, dass sie Tempo 30 in ihren Städten einführen können. Verkehrsminister Wissing hat abgelehnt.
Zum internationalen Vergleich führt sie aus:
„Nur weil andere Länder in Europa Tempolimits haben, denke ich nicht, dass es den Bürgerinnen und Bürgern verboten werden sollte, auf freien Autobahnen schneller als 130 km/h zu fahren.“
Dazu noch eine Anmerkung: Es gibt tatsächliche noch einige Länder ohne Geschwindigkeitslimit.
Laut Umweltbundesamt sind das Haiti, Somalia, Libanon, Nepal, Myanmar, Mauretanien, Burundi, Bhutan. Von vielen wird auch Nordkorea dazu gezählt. Sind das die Vorbilder für unbeschränkte Freiheit?
Zum Klimaschutz sagt sie nur, dass Tempolimits keinen sinnvollen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Sie erwähnt nicht, dass Minister Wissing gerade ein Tor für den weiteren Betrieb von Verbrennermotoren in Europa geöffnet hat. Wenn Sie mit E-Fuels betankt werden, sind sie weiterhin erlaubt. Ich habe sie auch nach E-Fuels gefragt:
„Eine der Maßnahmen, die Sie erwähnen sind E-Fuels. Das ist erstaunlich: VW Chef Diess hat seine Ingenieure die verschiedenen Antriebsarten untersuchen lassen: Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die E-Fuels einen Wirkungsgrad von ca. 20% haben und damit um den Faktor 4 – 5 teurer sein werden, als E-Mobilität, weswegen er E-Fuels für VW ausgeschlossen hat. Für Porschefahrer mag der fünffache Preis von E-Fuels aus Chile vielleicht bezahlbar sein, für Normalbürger ist er unbezahlbar. Toyota, das Unternehmen, welches das einzige Brennstoffzellenauto gebaut hat, steigt übrigens auch auf E-Autos um.
Die FDP will E-Fuels in Chile und Mauretanien produzieren lassen. In Chile dominieren fossile Energieträger mit fast 70 Prozent den Energiemix. Die Importquoten für Rohöl, Erdgas und Kohle lagen im Jahr 2018 zwischen 79 und 98 Prozent. In Mauretanien liegt der fossile Anteil bei 65%. Sollte diese Länder nicht vorrangig die Produktion von erneuerbaren Energien für die Transformation ihres Energiesektors von einer fossilen zu einem Erneuerbaren Energiesektor nutzen statt E-Fuels nach Deutschland exportieren?
Es bleibt das Zeitproblem: Vor 2035 – 2040 werden E-Fuels nicht im Einsatz sein, bis dahin muss das Problem aber in Deutschland schon gelöst sein, siehe UBA-Bericht.
Zu diesen Fragen habe ich nur ein dröhnendes Schweigen bekommen. Wenn konkrete Sachfragen auf wissenschaftlicher Basis gestellt werden, wird die FDP sprachlos.
Fazit:
Das Bekenntnis zu Paris ist nur eine öffentlich wirksame Leerformel; in Wirklichkeit möchte man business as usual, der Markt wird es richten, das Klima und wissenschaftlich Fakten dazu werden von der wirtschaftsliberalen Partei schlicht ignoriert, wenn sie nicht zur Parteilinie passen. Die Parteilinie bestimmt im Wesentlichen der Parteivorsitzende Lindner, die Landesvorsitzende der Liberalen Frauen Baden-Württemberg muss das abnicken. So funktioniert halt Politik.
Der Expertenrat plädierte in Berlin dafür, den „Budgetansatz“ im Klimaschutzgesetz „zu erhalten“. Damit sind die für jedes Jahr festgelegten CO2-Mengen gemeint, die unter anderem Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude und Verkehr höchstens verursachen dürfen.
Die „Aufweichung der Ressortverantwortung könnte im Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht stehen“ warnen die Experten.
Durch die faktische Abschaffung der Sektorziele und das Streichen der jährlichen Überprüfung und Nachsteuerung verliert das Klimaschutzgesetz seine Wirkung. Die Ampel macht das zentrale Instrument im Klimaschutz damit zum zahnlosen Papiertiger und steuert zielsicher Richtung Klimakatastrophe. Diese Trickserei dürfen wir als Zivilgesellschaft nicht zulassen.
Wir unterstützen die Petition der DUH unter dem Motto: „Finger weg vom Klimaschutzgesetz!“ Ich rufe Sie auf: Machen Sie mit, unterzeichnen auch Sie!
Für die Mobilitätswende! Für eine lebenswerte Stadt! Für das Klima!