Ein Interview mit den beiden Sprechern der Allianz Mobilitätswende nach dem Bundestags-Wahlkampf
Die Bundestagswahl liegt eine Woche zurück, die demokratischen Parteien verhandeln über eine Koalition. Sind Sie zuversichtlich, dass das Thema der Mobilitätswende von einer neuen Bundesregierung mit dem notwendigen Nachdruck angegangen wird?
Romeo Edel: In unseren Wahlveranstaltungen haben wir festgestellt, dass das Thema Mobilitätswende in den Köpfen angekommen ist. Das 1,5-Grad-Ziel wird mittlerweile von allen großen Parteien angestrebt und auch die Notwendigkeit einer grundlegenden Wende in der Mobilitätspolitik findet sich in den Wahlprogrammen wieder.
Jobst Kraus: Der BUND Landesverband Baden-Württemberg hatte ja 2017 die Studie „Mobiles Baden-Württemberg“ initiiert, deren zentral Aussage es war, dass sich mit einem „Weiter so“ das Ziel von Paris unter 2 Grad Erwärmung zu bleiben und nach Möglichkeit 1,5 Grad nicht zu überschreiten, nicht erreichen lässt. Das ist, glaube ich, im Land von den meisten verstanden worden.
Wie kam es eigentlich Anfang 2020 zur Gründung der MoWA? Ist die Idee tatsächlich am Kneipentisch entstanden?
Romeo Edel: Ja, das kann man fast sagen. Da spielen viele persönliche Kontakte eine Rolle. Wir standen unter dem Eindruck der Studie „Mobiles Baden-Württemberg“ und stellten fest, dass gerade bei uns im Land der notwendige Wandel zu tiefgreifenden Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur, den sozialen Strukturen und vor allem in der Arbeitswelt führen muss. Das geht über das hinaus, was ein einzelner Umweltverband zu leisten imstande ist. Mit Jobst Kraus war der BUND gleich mit von der Partie. Wir haben dann weitere Verbände in unserem Umfeld angesprochen, Gruppen wie „Stuttgart laufd nei“ kamen hinzu, auch KUS, das Klima-und-Umweltbündnis Stuttgart, die Naturfreunde, schließlich der Fahrgastverein ProBahn, der alternativen Verkehrsclub VCD, der Landesnaturschutzverband LNV, die Stadtmobile, teilAuto, die GLS-Bank und viele Einzelpersonen. Besonders freuen wir uns, dass der DGB mit seinen Teilgewerkschaften dabei ist.
Bei der Vielfalt der Perspektiven war es sicher nicht einfach, sich zusammenzuraufen.
Jobst Kraus: Natürlich gab es anfangs hitzige Debatten, etwa über die Forderung nach einem Straßenbaumoratorium oder die Höhe von Tempolimits. Doch das gemeinsame Ziel einer grundlegenden Mobilitätswende in Baden-Württemberg, hat dann manche Hürde überwinden lassen und letztlich auch dazu geführt, dass die sozialen Aspekte einer Verkehrswende, wie die Notwendigkeit guter Arbeit mit Tarifbindung und Mitbestimmung, mit im Blick waren. Das Zusammenraufen in der Allianz war so auch ein wechselseitiger Lernprozess und ein sanfter Druck, die eigenen Positionen kritisch zu reflektieren. Eine Wende kann letztlich nur mit der Teilhabe aller Menschen, als solidarische Mobilität gelingen.
„Das Zusammenraufen in der Allianz war ein wechselseitiger Lernprozess und ein sanfter Druck, die eigenen Positionen kritisch zu reflektieren.“
Jobst Kraus
Romeo Edel: Alle unsere Unterstützer stellen in der Allianz ihre weitergehenden Forderungen hintan. Nicht zuletzt deshalb ist die MoWA innerhalb eines Jahres in der Gesellschaft angekommen. Was uns alle vereint ist ein positives Narrativ, eine Vision, wie wir uns unsere Mobilität wünschen. Für den Bundestagswahlkampf haben wir das in vier Postkarten zusammengefasst. Sie thematisieren die lebenswerte Stadt der kurzen Wege und dass Straßen Lebensräume für alle sind, den Bahnhof als lebendiges Drehkreuz der Verkehrsmittel, den wiederbelebten ländlichen Raum, wo Leben und Arbeit wieder zusammenfinden und der Anschluss an die Welt durch Digitalisierung mit modernen Kommunikations- und Transportmitteln gesichert ist. Die vierte Postkarte handelt von Fahrrad und Lastenrad, den selbstaktiven Fortbewegungsmitteln, ohne die ich mir eine echte Mobilitätswende nicht mehr vorstellen kann.
Wie sind Sie eigentlich zu den Sprechern der Allianz geworden; gibt oder gab es andere Anwärter auf diesen Posten?
Romeo Edel: Die Allianz ist ja kein formeller Verein, dass wir Sprecher wurden, ergab sich dadurch, dass wir beide uns die Zeit genommen haben, uns für diese Allianz zu engagieren. Wie die zukünftige Organisationsform aussehen wird ist noch offen.
Jobst Kraus: Ich verstehe mich in dieser Rolle eher als Moderator zwischen den verschiedenen Interessengruppen. Wir sind ja beide in der kirchlichen Akademie- und Bildungsarbeit aktiv. Und eine wesentliche Aufgabe der Sprecher besteht darin den Diskussionsraum für diese Allianz und ihre Ziele zu ermöglichen.
In den Wahlveranstaltungen zum Landtag und zum Bundestag fiel mir auf, dass Kandidierende viel lieber über bessere Radwege und besseren ÖPNV sprachen, als über notwendige Einschränkungen des motorisierten Individualverkehrs. Teilen Sie diesen Eindruck?
Romeo Edel: Ja natürlich; anders als bei der Energiewende handelt es sich bei der Mobilitätswende ja um eine Änderung des Lebensstils jedes und jeder einzelnen. Das wird an einzelnen Punkten auch schmerzhaft sein, wenn auch nach unserer Meinung im Endergebnis ein Zugewinn an Lebensqualität steht.
Jobst Kraus: Dieser Beobachtung entspricht auch die Vorliebe der Parteienvertreter für Pull-Strategien wie attraktive Angebote des Umweltverbundes und die Ablehnung von Push-Strategien, wie Tempolimit, Parkraummanagement, Rückbau von Parkplätzen oder die Verteuerung von Sprit und Anwohnerparken.
Romeo Edel: Genau, ganz wichtig ist das UND; pull UND push.
Jobst Kraus: Auffällig war für mich auch die häufige Beobachtung, dass Mobilität und Verkehr gleichgesetzt werden. Dabei sind die Mobilitätsbedürfnisse das eine und die Mittel mit denen sie realisiert werden das andere. Dabei wäre es doch ein Gewinn an Lebensqualität und Klimaschutz mehr Mobilität mit weniger Verkehr zu erreichen. Dafür braucht es dann aber auch einen schrittweisen Umbau der Städte und Dörfer, so dass es keinen Zwang mehr gibt ein Auto nutzen zu müssen, sondern vieles auf kurzen Wegen zu Fuß, mit dem Rad, mit dem ÖPNV oder mit einem Car-Sharing Fahrzeug erreichbar ist.
Gibt es auch Kandidierende, die eine Mobilitätswende rundweg ablehnen?
Romeo Edel: Das haben wir so nicht feststellen können. Einige Ideen, die vorgetragen wurden, verleiten allerdings zu der Vorstellung, dass sich gar nicht soviel ändern muss. Dazu gehört u.a. das Setzen auf Innovation zur Steigerung der Verkehrssicherheit auch ohne Tempolimits und die Hoffnung auf sog. E-Fuels, auf Basis erneuerbarer Energie hergestellte Kraftstoffe, mit denen sich Verbrennungsmotoren weiter betreiben ließen. In zwei Expertenveranstaltungen im Juni und Juli haben wir dieses Argument einmal auseinandergenommen. Ergebnis: Am batterieelektrischen Antrieb für PKWs und kleinere LKWs geht kein Weg vorbei.
Jobst Kraus: Die Wende wird oft auch als eine reine Antriebswende verstanden nach dem Motto „fossil raus – elektrisch rein“. So entgeht man mit dem Setzen auf rein technologische Innovationen bis hin zum automatisierten Fahren den Zumutungen einer letztlich doch radikalen Wende.
Haben Sie persönlich etwas dazugelernt in dieser Arbeit?
Romeo Edel: Ich habe Bedeutung von Fahrrädern und Lastenrädern für die Mobilitätswende noch höher zu schätzen gelernt. Die wahre Erfolgsgeschichte der E-Mobilität wurde hier geschrieben.
Jobst Kraus: Die Mitarbeit in der MoWA hat mich motiviert noch mehr als früher die Vorteile des Umweltverbundes zu sehen und zu nutzen – und dass es sich lohnt eine Allianz zu schmieden
Was erwarten Sie von einer neuen Bundesregierung im Bereich der Mobilität?
Jobst Kraus: Als Sofortmaßnahme und als Zeichen, dass es der Regierung mit dem Abbremsen der Klimakatastrophe ernst ist, ein generelles Tempolimit – 120 km/h auf Autobahnen, 80 km auf Landstraßen und 30 im innerstädtischen Bereich. Der Satz von Winfried Kretschmann, dass wir „weniger und kleinere Autos brauchen“, hätte nie zurückgenommen werden dürfen. Es stehen an, ein Bundesmobilitätsgesetz, mehr Ausgaben für den Umweltverbund und der Umbau der Infrastruktur.
Ein Perspektivwechsel ist notwendig: Statt der Verkehrsmittel sollten die Bedürfnisse der Menschen und deren Daseinsvorsorge im Mittelpunkt stehen. Ziel sollte sein, eine bedürfnisgerechte, effiziente Mobilität mit weniger Verkehr, Abgasen, Lärm und Kosten zu gewährleisten. Dafür ist es höchste Eisenbahn. Denn nach dem globalen Budget – Ansatz des Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung stehen Baden-Württemberg nur noch 625 Mio.t CO2 zur Verfügung. Bei weiterhin 70 Mio. t CO2-Aussoß pro Jahr (davon 21,7 Mio. t im Verkehr) wäre dieser „Bonus“ in 9 Jahren aufgebraucht. Das gelingt nur mit einem Mix von einem ambitionierten Umbau der Infrastruktur, mit klimaneutralen Technologien und einer Mobilitätswende in den Köpfen.
Letztlich erreicht die Politik die Köpfe und Herzen nur mit einem attraktiven Zukunftsbild, mit dem sich die Menschen nicht nur identifizieren, sondern sich auch gerne auf den Weg in eine reduktive Moderne machen.
Was plant die Allianz Mobilitätswende Baden-Württemberg jetzt, nachdem die beiden Wahlkämpfe abgeschlossen sind?
Romeo Edel: Die Allianz als Bürgerbündnis, da sind sich alle unsere Unterstützer einig, wird weiter gebraucht. Die Politik braucht längerfristige kritische Begleitung in der Umsetzung der Mobilitätswende, auf Bundes- wie auf Landesebene.
„Die Allianz als Bürgerbündnis wird weiter gebraucht.“
Romeo Edel
Aber unser Erfolg ist nicht zuletzt unseren professionellen Mitarbeiter:innen zu verdanken, die mit viel Engagement über 50 Veranstaltungen zusammen mit lokalen Partnern organisiert, die Website programmiert und aktualisiert und in den sozialen Medien für unser Anliegen geworben haben. Das alles haben bisher unsere Unterstützer:innen mit ihren Spenden ermöglicht.
Jobst Kraus: Wir sind mit den großen Verbänden im Gespräch darüber, wie wir unsere Arbeit weiterhin finanzieren können. Die Zukunft der MoWA wird sich in den kommenden Wochen entscheiden.
Sie suchen weiterhin neue Unterstützer:innen. Könnten Sie sich vorstellen, auch Unternehmen aus dem Automobil- oder Zuliefersektor aufzunehmen, oder gibt es da eine Schmerzgrenze?
Romeo Edel: Wir sind ein Bürgerbündnis aus der Mitte der Gesellschaft; da haben wir grundsätzlich keine Berührungsängste. Gerade in Baden-Württemberg, wo bisher Fahrzeuge im Luxussegment hergestellt werden, stehen wir vor großen industriellen Umwälzungen. Wir brauchen große Infrastrukturinvestitionen in Schienenwege, Radinfrastruktur und in die Umgestaltung lebenswerter und klimaresilienter Städte und wir bauen derzeit einen dichten und zuverlässigen Nahverkehr auf. Nicht jeder Job in der Autoindustrie wird erhalten werden, wichtig ist daher, den Wandel so sozialverträglich zu gestalten, dass alle Menschen eine würdige und fair bezahlte Arbeit in Zukunftsindustrien finden können.
Das Interview führte (auf dem Foto von links nach rechts) MoWA Geschäftsführer Michael Dutschke mit Jobst Kraus und Romeo Edel. Rechts im Bild: MoWA-Geschäftsführerin Stefanie Liepins.