Wer es ernst meint mit der Klimaneutralität von Industrie, See- und Flugverkehr kann nicht gleichzeitig die Beibehaltung des Verbrennungsmotors im PKW befürworten, denn bis zur Mitte des Jahrhunderts werden synthetische Kraftstoffe nicht in ausreichendem Maße verfügbar sein. Zu diesem Ergebnis kam eine Expertenanhörung, die die Allianz Mobilitätswende für Baden-Württemberg am 14. Juli 2021 durchführte.
Mit ihrer Themenreihe zu Fragen der Mobilität will die Allianz Mobilitätswende zur Anhebung des Diskussionsniveaus in den Wahlkampfveranstaltungen beitragen.
Bereits in den Veranstaltungen zur Landtagswahl war aufgefallen, dass Kandidierende zu Fragen des PKW-Antriebs unterschiedlichste Auffassungen vertraten. Diejenigen, die gegen eine Festlegung auf batterieelektrische Antriebe argumentierten, setzten auf Wasserstoff und E-Fuels, also synthetische Treibstoffe, die mit Hilfe von Strom aus Wasser und CO2 hergestellt werden. Während Wasserstoff im Elektrofahrzeug durch eine Brennstoffzelle wieder in elektrische Energie umgewandelt wird, benötigen E-Fuels keine Änderung in der Antriebstechnik. Befürworter des Einsatzes von E-Fuels in PKWs hoffen, damit dem Verbrennerauto eine Zukunft zu ermöglichen.
Die Einführung in die Technologie und ihr mengenmäßiges Potenzial bis zur Mitte des Jahrhunderts machte Professor Roland Dittmeyer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er erläuterte, dass die Sektoren Wärme und besonders Verkehr heute extrem geringe Anteile erneuerbarer Energien haben (14,5 bzw. 5,6 Prozent), im Vergleich zum Stromsektor mit ca. 50 Prozent. Im Zuge der Abkehr von fossilen Brennstoffen wird zunehmend der Bereich der Gebäudeheizungen auf Elektroheizung umgestellt, woraus ein Zusatzbedarf an erneuerbaren Energien entsteht. Wegen des schwankenden Angebots von Wind oder Sonne braucht es Speichermedien. Neben Batterien kommen hier mithilfe von überschüssigem Strom synthetisierte gasförmige (Wasserstoff, Methan) oder flüssige Brennstoffe („Power to X“) infrage. Prof. Dittmeyer stellte eine mobile Pilotanlage aus seiner Forschung vor. Großtechnische Anlagen sollen ab 2026 größere Mengen Treibstoff produzieren.Dittmeyer wies auf die hohen Produktionskosten hin. Sie ergeben sich aus dem Investitionsbedarf der Anlagen, ihrer nur teilweisen Auslastung (während Nachfragetiefs) und der Effizienzverluste bei der Umwandlung von Strom in transportfähige Kraftstoffe. Zudem sind noch nicht alle technischen Probleme gelöst. Eine Markteinführung sei nur mithilfe von CO2-Besteuerung und / oder einer steigenden Zumischquote zu fossilen Kraftstoffen möglich.
Peter Kasten vom Öko-Institut prognostizierte die Nachfrage nach Wasserstoff und E-Fuels bis ins nächste Jahrzehnt. Er erwartet im Jahr 2030 einen Bedarf von 60 Terawattstunden in Wasserstoff und 3 Terawattstunden in E-Fuels. Darin berücksichtigt sind nur die Sektoren, für die es keine fossilfreien Alternativen gibt, darunter die Stahl- und Grundstoffchemie, Flug- und Seeverkehr. Die zur Verfügung stehenden Mengen werden nach seiner Ansicht auf längere Zeit knapp bleiben (zum Vergleich der derzeitige Stromverbrauch in Deutschland beträgt ca. 540 TWh und der Gesamtenergiebedarf ca. 2500 TWh). Ernsthaft diskutiert wird der Einsatz von Wasserstoff oder E-Fuels auch für den Güterfernverkehr und die Wärmeversorgung. Kasten weist auch auf Nachhaltigkeitsrisiken des Imports von E-Fuels aus Entwicklungsländern. Importe müssen daher berücksichtigen, dass die CO2-freie Stromproduktion in den exportierenden Ländern selbst Vorrang vor dem Export hat und die Bevölkerung Zugang hat zu dieser Energie. Außerdem muss darauf geachtet werden, dass der hohe Wasserbedarf für die Elektrolyse nicht in Konkurrenz tritt zur Trinkwasserversorgung und den landwirtschaftlichen Bedarf. Auch politische Risiken sind zu beachten, denn viele der attraktiven, sonnenreichen Standorte liegen in instabilen Ländern, für die überdies kommerzielle Banken keine Finanzierung übernehmen.
Die Errichtung von Produktionskapazitäten für Wasserstoff und E-Fuels erfordern also massiven Technologietransfer für den Ausbau der (erneuerbaren) Energieversorgung und den Aufbau von Meerwasserentsalzungsanlagen, die zunächst einmal der Versorgung der Bevölkerung zugutekommen müssen. Diese notwendigen Transfers erhöhen jedoch den Herstellungspreis pro Liter E-Fuel, der i.d.R. bei 1,20 bis 1,50 Euro angenommen wird. In der Effizienzkurve von Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr rangieren Verhaltensänderungen (ÖPNV-Nutzung, Car- und Ridesharing, bessere Siedlungsplanung) mit negativen Kosten (also gesellschaftlichem Gewinn) weit vor einem Antriebswechsel. E-Fuels für den PKW-Verkehr sind teuer: um mit fossilen Kraftstoffen konkurrieren zu können, müssten diese mit einem CO2-Preis von 200 bis 350 Euro belegt werden.
Mit der Entwicklung der Batterietechnik beschäftigt sich die Forschungsgruppe von Dr. Dominic Bresser am Ulmer Helmholtz-Institut. Er hält einen Wechsel zu erneuerbaren Energien weltweit bis 2050 für möglich. Dabei würden etwa 27,7 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, aber 52 Millionen Arbeitsplätze neu geschaffen. Batterien sind dabei die effizienteste Speichertechnologie. Im Vergleich zwischen Fahrzeugen mit batterieelektrischem, Wasserstoff und E-Fuel-Antrieb stehen sie mit einer Gesamtsystemeffizienz von 73 Prozent an der Spitze. Es folgen der Wasserstoff mit 22 Prozent und schließlich flüssiger E-Fuels mit nur 13 Prozent. Anders ausgedrückt: Mit einer Kilowattstunde kommt ein Batterieauto fast sechsmal weiter als ein mit E-Fuels betriebenes mit Verbrennungsmotor. Auch Bresser gibt zu bedenken, dass es Fälle gibt, in denen Energiedichte, Tankvolumen und Gewicht eine Rolle spielen, etwa im Flugverkehr.
Bresser erläuterte in seinem Vortrag die technischen Herausforderungen und Entwicklungen der Batterietechnik. Seltene Metalle wie Kobalt, die in einigen Entwicklungsländern unter Menschenrechtsverletzungen gefördert werden, werden zunehmend durch leichter verfügbare und kostengünstigere Materialien ersetzt. Bresser schätzt, dass die Steigerung der Energiedichte und die erwarteten Kostenreduzierungen von Batterien das E-Auto bereits 2025 konkurrenzfähig gegenüber dem Verbrenner machen. In naher Zukunft, so seine Erwartung, können Elektroautos mit einer Ladung weiter fahren als Verbrennungs-PKWs. Dies sei auch der Grund, warum die Industrie heute überwiegend auf batterieelektrische PKW setzt. In der Weiterverwendung gealterter Autobatterien (unter 80 Prozent der ursprünglichen Kapazität) als stationäre Pufferbatterien sieht er zudem einen wichtigen Beitrag zur Energiewende.
Fazit
- Es gibt Energieverbraucher in der Stahl- und Grundstoffindustrie, dem See- und Luftverkehr, die keine nicht-fossile Alternative zu Wasserstoff oder E-Fuels haben. Diese Nachfrage wird selbst bei schnellem Aufbau der Produktionskapazitäten im In- und Ausland noch für längere Zeit nicht gedeckt. Allerdings: Im Übergang zu einer rein batterieelektrischen PKW-Flotte kann eine Zumischquote von E-Fuels zu Benzin und Diesel neben der Emissionsreduktion Skalenvorteile beim Markthochlauf für die Produzenten von E-Kerosin oder E-Schiffsdiesel bringen.
- Für den PKW-Verkehr kommt realistisch nur der batterieelektrische Antrieb in Frage. Weitere Emissionsverringerungen müssen durch Verhaltensänderung, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und städtebauliche Maßnahmen erreicht werden.
Die Vortragsfolien von Peter Kasten vom Öko-Institut können stehen hier zum Download.
Die Vorträge von Prof. Roland Dittmeyer und Dr. Dominic Bresser können per E-Mail bei ihnen selbst angefordert werden.