Bericht von unserer Geschäfsführerin Stefanie Liepins über eine Reise durch Deutschland mit dem 9-Euro-Ticket:
In einer guten Woche über 1500 Kilometer mit Regionalzügen und ÖPNV durch Deutschland? Was als kritischer Selbstversuch begann, wurde zu einer wunderbar erlebnisreichen Reise. Ein Trip in meine Lieblingsstadt Lübeck stand schon lange wieder auf der Agenda. Als dann die Einführung des 9-Euro-Tickets im Raum stand, war die Entscheidung schnell gefallen. Wie kommt man in einer Woche einmal vom Süden in den Norden mit Regionalzügen durch Deutschland? Mir ist klar, dass meine Erfahrungen rein subjektiv sind, aber ich kann sagen: meine Erwartungen wurden bei weitem übertroffen. Start war nach Pfingsten in Freiburg.
Die Planungen begannen ein paar Wochen vorher, Fahrpläne wurden studiert, beste Anschlüsse gesucht, interessante Zwischenstopps eingeplant. Bei Familie und Freunden Übernachtungsmöglichkeiten an der Strecke angefragt. Um es gleich klarzustellen, mir ging es nicht um einen direkten 20-Stunden-Regionalzug-Marathon. Ich wollte die Fahrten genießen, Zeit für Städte und Menschen haben. Ich hatte klare Regeln: ich fahre nur zwischen 9 Uhr und 17 Uhr, maximal sieben Stunden am Tag. Als geplagte Pendlerin in der Region Stuttgart sind meine Erfahrungen mit Bahn und ÖPNV nicht immer die besten. So war ich mir sicher, dass ich irgendwann frustriert und schreiend mit meiner Bahncard in den nächsten ICE oder IC steigen würde, um noch mein Nachtlager zu erreichen.
Aber genau das Gegenteil war der Fall. Über 1500 Kilometer in Regionalzügen und ÖPNV liefen erstaunlich reibungslos und stressfrei. Ich hatte immer einen Sitzplatz (okay ertappt: im Schulbus am Timmendorfer Strand erst an der vierten Haltestelle). Es kam nie zu einem Zugausfall und nur dreimal zu Verspätungen. Da die meisten Regionalzüge mindestens stündlich fahren, stellte der nächste Anschluss kein großes Problem dar. Und das Tolle: Zugbindungen sind beim 9-Euro-Ticket kein Thema!
Was für eine Erleichterung ist die kostenlose Nutzung des ÖPNV in den Städten. Ich muss mir keine Gedanken machen, ob ich jetzt einen Citytarif mit im Ticket habe oder ob meine Karte für Zone 1, 2, 3 oder doch nur AB gilt. Normalerweise erlaufe ich mir Städte und auch dieses Mal war ich fast immer noch zig Kilometer zu Fuß unterwegs, das ist ein guter Ausgleich zum langen Sitzen. Trotzdem bin ich noch nie so spontan in Busse und Straßenbahnen eingestiegen, habe neue Verbindungen ausprobiert. Einfach in jeden Zug steigen zu können, auch in jeden ÖPNV, gibt einem ein unglaubliches Freiheitsgefühl. Ich kann Züge verpassen, ich kann Züge weglassen…ich bin einfach flexibel. Ein herzliches Dankeschön auch an die DB-App, die bei Regionalzügen wirklich immer in Echtzeit funktioniert hat. Den Zwischenstopp in Münster oder den Tagesausflug nach Bremerhaven hätte ich sonst niemals gemacht. In Koblenz fiel mein geplanter Stadtbesuch leider einem heftigen Gewitter zum Opfer und ich stand eine Stunde unter dem Bahnhofsvordach.
Hier noch ein persönlicher Einwurf zu Bussen und schienengebundenem Verkehr. Nachdem ich in Lübeck stundenlang Gelenkbusse gefahren bin. Das sind wirklich Welten zu funktionierenden Stadtbahnsystemen wie in Freiburg oder Bremen.
Natürlich gab es auch volle Züge, insbesondere die S-Bahnen und Busse in den Ballungsgebieten wie Mannheim oder Köln. Im Schwarzwald und um Münster tummelten sich dann noch zig Radfahrende in den Zügen und blockierten Gänge, Sitzplätze und die Türen mit ihren Zweirädern. In vielen Gebieten haben die Züge eigene Radabteile, blicken viele Neulinge leider nicht. Aber mit etwas Rücksichtnahme war auch das alles kein Problem.
Deshalb an alle Bahnneulinge: es lohnt sich im Vorfeld zu schauen, wie die Züge ausgestattet sind und wie viele Abteile sie haben. Regionalzüge stehen am Startbahnhof oft schon da und man kann ganz in Ruhe 15 Minuten vorher einsteigen. Niemals mit dem Schwarm im Pulk in der Mitte des Bahnhofs warten und sich dann gemeinsam durch eine Tür ins Zuginnere quetschen, um dort dann festzustellen, dass alles voll ist. Scheint gängiges menschliches Rudelverhalten zu sein. Züge haben oft mehr Kapazitäten als man denkt und dann sind die vorderen und hinteren Waggons fast leer. Die 100 Meter Fußweg auf dem Bahnsteig lohnen sich wirklich. Toiletten wenn möglich auf den Bahnhöfen benutzen, denn oft bilden sich Schlangen und im Go-Ahead-Zug auf der Frankenbahn von Würzburg nach Stuttgart scheinen die Toiletten seit Monaten außer Betrieb zu sein und das bei einer über zweistündigen Fahrt! Auf funktionierendes W-Lan in Regionalzügen sollte man sich ganz sicher auch nicht verlassen.
Die Menschen in Südbaden und im Kölner Raum sind gesprächiger als in Schwaben oder die Nordlichter. Von Köln nach Münster fuhr ich auf dem Klappsitz mit zwei Müttern und Kindern…am Ende hatte sich unser Abteil zu einer kleinen Kita entwickelt und Mailin hat alle unterhalten…dann schaut man schon Mal zwei Stunden nicht ins Handy und den Rechner. Mit dem Laptop arbeiten ging meistens auch ganz gut. Alle waren immer hilfsbereit. Oft konnte ich älteren Menschen mit meiner DB-App aushelfen und Einheimische waren immer sofort zur Stelle, falls z.B. der falsche Zielort am Zug stand.
Besonders lohnend waren Nebenstrecken wie der Ringzug von Donaueschingen nach Rottweil, die märchenhafte Lahntalbahn von Gießen nach Koblenz oder der Regionalzug die Lübecker Bucht entlang, der mich zu meiner geliebten Ostsee gebracht hat. Diese Verbindung soll leider der neuen Strecke durch den Fehmarnbelttunnel zum Opfer fallen soll. Das wäre ein großer Verlust.
Ein ganz großer Dank gebührt den Bahnangestellten, die immer freundlich, höflich und helfend geblieben sind.
Noch zweieinhalb Monate 9-Euro-Ticket: ich freu mich drauf!
Und hoffe sehr, dass dieses Experiment nach der Coronazeit wirklich wieder mehr Menschen in Züge und Busse bringt und gleichzeitig der Beginn einer neuen Politik ist, die den öffentlichen Nahverkehr ausbaut und attraktiv macht.
Mein Fahrtenverlauf:
Freiburg-Titisee-Donauschingen-Rottweil-Stuttgart-Ludwigsburg-Karlsruhe-Durlach Mannheim-Frankfurt-Großen Linden-Gießen-Koblenz-Köln-Horrem-Quadrath-Ichendorf- Köln-Münster-Osnabrück-Bremen-Bremerhaven-Bremen-Hamburg-Lübeck-Scharbeutz-Lübeck-Scharbeutz-Travemünde-Lübeck-Hamburg-Würzburg-Ludwigsburg