„Kinder aufs Rad“ in Bad Boll
Was hat Bad Boll mit großen Städten wie Berlin, Köln oder Stuttgart gemeinsam? Auch in dem kleinen Kurort mit 5.200 Einwohner*innen fand am vergangenen Wochenende eine Kidical Mass statt.
Die Kidical Mass-Bewegung setzt sich mit einem Aktionsbündnis für lebenswerte Städte ein. Gemeinden, in der sich Kinder und Jugendliche sicher und selbständig mit dem Fahrrad bewegen können, sind gut für alle. Sie geben den heute vom Auto dominierten öffentlichen Raum allen Bürgerinnen und Bürgern als Lebensraum zurück, als Raum für Begegnung und soziales Miteinander. Viele Menschen würden mehr Rad fahren, trauen sich aber nicht mit dem Fahrrad in den Straßenverkehr. Wo aber Kinder sicher Rad fahren können, profitieren auch alle anderen von einem entschleunigten öffentlichen Raum.
Ein bunter Fahrrad-Korso rollte unter dem Motto „Kinder aufs Rad“ durch die Straßen des schwäbischen Dorfs. 120 Kinder und Erwachsene kamen, um gemeinsam mit 40.000 Menschen in mehr als 200 Orten in Deutschland und 14 weiteren Ländern für ein kinderfreundliches Straßenverkehrsrecht zu demonstrieren.

Das aktuelle Straßenverkehrsrecht behindert fahrradfreundliche Kommunen, denn es bevorzugt das Auto. Wir brauchen ein modernes Straßenverkehrsrecht, bei dem ungeschützte Verkehrsteilnehmer*innen, vor allem Kinder, Vorfahrt haben. Aktuell können Städte und Gemeinden nicht einfach Tempo 30 einführen oder breite, baulich getrennte Radwege einrichten. Eine Reform des Straßenverkehrsrechts muss Städten und Gemeinden die Freiheit geben, sich für kinder- und fahrradfreundliche Maßnahmen zu entscheiden. Dazu gehören Tempo 30 auch auf Hauptverkehrsstraßen, geschützte Radwege, Fahrradstraßen und temporäre Durchfahrtverbote vor Kitas und Schulen und ein respektvolles Miteinander.
Die Kidical Mass-Bewegung fordert deshalb Bundesverkehrsminister Volker Wissing mit einer Petition auf, noch in diesem Jahr die Reform des Straßenverkehrsrechts auf den Weg zu bringen, die im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung verabredet wurde. Die Schutzbedürftigkeit von Kindern, aber auch älteren Menschen und Menschen mit Assistenzbedarf, soll in den Mittelpunkt des Straßenverkehrsrechts gestellt werden und die Vision Zero – null Verkehrstote – soll als Ziel im Gesetz festgelegt werden. Davon profitieren wir alle und nur so gelingt die Mobilitätswende. Die Petition kann noch unterzeichnet werden. Städte und Gemeinden sind aber heute schon aufgefordert, die bestehenden Spielräume für einen fahrradfreundlicheren Ort zu nutzen.
Die erste Kidical Mass in Bad Boll war ein bunter Anblick und ein schönes Erlebnis für die Radelnden. Über 120 große und kleine Teilnehmer*innen waren dem Aufruf der Initiative www.gemeinsam-weiterkommen.de und des ADFC Kreisverbands Göppingen gefolgt. Die erfahrenen Ordner des ADFC machten den Weg frei, vorne und hinten sicherten Polizeiautos mit Blaulicht den Aufzug. Kinder waren auf dem eigenen Fahrrad dabei, die Kleinsten auf dem Laufrad, auf dem Trailerbike oder im Anhänger. Es gab Cargoräder und Lastenanhänger, ein Tandem und sogar einen mitradelnden (Stoff-)Affen. Bei schönstem Sonnenschein ergab dies ein buntes Bild, das vielen Passant*innen ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hat. Autofahrer*innen, die warten mussten bis auch die Letzten vorbeigefahren waren, waren von dieser unerwarteten Begegnung zwar überrascht, reagierten aber überwiegend freundlich und geduldig.
„Das war sicher nicht die letzte gemeinsame Veranstaltung“, so einmütig die Organisatorinnen Carmen Ketterl von gemeinsamweiterkommen und Bärbel Vogl vom ADFC, die sich freuten, dass die Aktion so großen Anklang gefunden hatten. Die Bad Boller Initiative von Unternehmen, kirchlichen und sozialen Organisationen, Gemeinde und der Fahrradclub verfolgen ein gemeinsames Ziel: eine nachhaltige Mobilitätskultur in lebenswerten Städten und Gemeinden.
(Titelbild: Gotthardt)