Offensichtlich steigt der Adrenalinspiegel bei manchen Menschen, wenn es um Streik geht, so unser Gastautor Jörg Munder, Gewerkschaftssekretär DGB-Region Nordwürttemberg. Es lohne sich jedoch, etwas genauer hinzuschauen, gegen wen hier denn Klassenkampf geführt wird. Ein paar Takte zur GDL.
„Das Grundrecht des Arbeitskampfes dürfen alle Gewerkschaften in Anspruch nehmen. In der aktuellen Auseinandersetzung geht es der GDL aber offenbar ums Überleben und weniger um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen“, so der DGB-Vorsitzende Rainer Hoffmann im Tagesspiegel. „Dass Gewerkschaften miteinander konkurrieren, ist völlig normal. Aber im konkreten Fall wird der Arbeitskampf instrumentalisiert und spaltet die Bahn-Belegschaft.“
Die Hauptargumente lauten, dass hier wirklich um höhere Löhne gekämpft wird und nicht, wie der DGB-Gewerkschaft EVG unterstellt wird, im Hinterzimmer Gefälligkeitsgeschenke angenommen werden („Kuschelgewerkschaft“ und „Schoßhündchen“ waren begleitende Begriffe dazu). Der Vorwurf lautet, die EVG habe sich voreilig mit einem miesen Abschluss mit 1,5% Erhöhung nach 12 Monaten Nullrunde abspeisen lassen.
Unterschlagen werden aber dabei u. a. folgende Regelungen während der Paketlaufzeit, die die EVG ausgehandelt hat:
- Keine betriebsbedingten Kündigungen wegen Corona
- Freistellungen für Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen
- Mindestens 18.000 Neueinstellungen pro Jahr, davon 4.400 Nachwuchskräfte
- Keine Fremdvergabe, wenn Leistungen wirtschaftlich im Konzern erbracht werden
- Verlängerung der Altersteilzeit bis Ende 2022
- Umwandlung von Zeitguthaben in Langzeitkonten
- Bei den Bussen: Corona-Beihilfe von 1.000 €, für Nachwuchskräfte 400 €, sowie eine Entgeltsteigerung um 2,6 %, bei Ausbildungs-/Studienvergütungen um 30 €
- Einrichtung eines Fonds für berufsnahes Wohnen und beruflicher Mobilität: Finanzielle Unterstützung von 180,–€ im Jahr. Dieses Angebot gilt ausschließlich für EVG-Mitglieder
Die wichtigen Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Recht auf Weiterbildung, Flexible Arbeitsmodelle, Unterstützung bei den horrenden Wohn- und Mobilitätskosten, Verhinderung von Outsourcing, Einstellung von Personal und Azubis etc. pp. wurden alle tarifvertraglich vereinbart.Darüber hinaus gibt es einen Rettungsschirm des Bundes von 2x 5 Mrd, den die EVG gefordert hatte.
Am Ende jeder Tarifrunde steht das Ergebnis und nicht die Befindlichkeit. Nach dem Tarifeinheitsgesetzes gelten in 55 Betrieben künftig ausschließlich die Vereinbarungen mit der EVG, in 16 Betrieben nur die mit der GDL. Das bedeutet, im selben Betrieb Bahn wird es unterschiedliche Tarifverträge geben. Die oben erwähnten Punkte werden in diesen 16 Betrieben nicht mehr gelten. Es wäre ein Leichtes für die GDL, die Verträge mitzuunterzeichnen. Dabei läuft sie jedoch Gefahr, in Bedeutungslosigkeit zu versinken. Genau deswegen haut sie auf den Putz und verlangt, Tarifpartner zu werden in Bereichen, in denen sie keine oder kaum Mitglieder hat.
Die GDL benutzt die Mitarbeitenden für ihr Konkurrenzverhalten und spaltet und schwächt die Belegschaft. Diese Entsolidarisierung der Beschäftigten ist einer Gewerkschaft unwürdig und hat auch mit Gewerkschaftsarbeit nichts mehr zu tun. Aber nicht nur das schlägt auf den Magen: Energiewende und Mobilität sind zentrale Zukunftsthemen. Notwendig ist dafür ein funktionierender Bahnkonzern und keine Privatisierung. Die GDL jedoch fordert die Zerschlagung des Bahnkonzerns sowie die Trennung von Bahn und Schiene, nur um an die Fleischtöpfe zu gelangen.
Leicht gekürzt aus „Ganz schön abgefahren“, s.a. klartext Nr. 28/2021
(Bild: Dutschke)